Insight

Was der Vehicle-to-Grid-Technologie zum Durchbruch verhelfen kann

Die Vehicle-to-Grid-Technologie (V2G) steht im Mittelpunkt der Bemühungen, nachhaltige Energiesysteme und Elektromobilität miteinander zu verbinden. V2G ermöglicht es, Elektrofahrzeuge (EVs) nicht nur als Transportmittel, sondern auch als Energiespeicher und -lieferanten zu nutzen. Diese Technologie bietet das Potenzial, die Integration erneuerbarer Energien zu erleichtern, die Netzstabilität zu verbessern und Verbrauchern finanzielle Vorteile zu bieten. Im Rahmen einer Masterarbeit an der Zürcher Hochschule für Angewande Wissenschaften (ZHAW) hat Helbling erforscht, welche Herausforderungen zur erfolgreichen Implementierung der Technologie aktuell noch bestehen und wie das enorme energetische und wirtschaftliche Potenzial genutzt werden kann. 

Das Prinzip der Vehicle-to-Grid-Technologie (V2G) ist einfach: Während Fahrzeuge an das Stromnetz angeschlossen sind, können sie Energie nicht nur laden, sondern auch ins Netz zurückspeisen. Dies geschieht durch intelligente Steuerungssysteme, die den Energiefluss basierend auf Netzanforderungen und dem Ladezustand der Batterie regeln. Technologisch ist die Entwicklung von V2G eng mit der Etablierung von Batterietechnologien, Ladetechnik und Smart-Grid-Systemen verknüpft. Fortschritte in der Lithium-Ionen-Batterietechnik haben die Lebensdauer und Effizienz von EV-Batterien erheblich verbessert, was V2G praktikabler macht. Ebenso spielen moderne, bidirektionale Wechselrichter und Kommunikationsprotokolle eine entscheidende Rolle, um eine sichere und nahtlose Interaktion zwischen Fahrzeugen und Netzbetreibern zu gewährleisten. 

Abbildung 1: Aufstellung der Vehicle-to-X-Technologien.  Abbildung: Helbling 

Heute scheint V2G auf der Schwelle zur erfolgreichen Kommerzialisierung. Helbling hat die technologische und wirtschaftliche Situation von V2G untersucht und acht Hauptaspekte identifiziert, welche für die Durchsetzung eine Voraussetzung darstellen. Ausgearbeitet wurde dies in einer Masterarbeit an der Zürcher Hochschule für Angewande Wissenschaften (ZHAW). Das Thema wird bei Helbling in Bauvorhaben, bei Projekten rund um den Ausbau von Ladeinfrastruktur für Transportunternehmen und in der Fahrzeugentwicklung multidisziplinär abgedeckt, weshalb Erfahrungen aus den Bereichen Automotive, Energie, Elektronik und Software in entsprechende Zukunftskonzepte einfliessen können.

 

V2G besitzt grosses Potenzial für Energiesysteme der Zukunft

Nach Jahren der Konzeptentwicklungen und der technologischen Fortschritte führt der Vormarsch elektrischer Fahrzeuge im Individualverkehr auch für V2G zu einer zunehmend neuen Ausgangslage.

Abbildung 2: Herstellung von Elektrizität weltweit nach erneuerbarer Technologie. Abbildung: International Energy Agency 

Vor allem in Ländern wie Japan, den USA und einigen europäischen Staaten laufen Pilotprojekte, um die Technologie auf ihre wirtschaftliche und technische Machbarkeit zu testen. In den Niederlanden und Dänemark gibt es bereits erste kommerzielle V2G-Projekte, bei denen EV-Besitzer für die Bereitstellung von Netzstabilitätsdiensten entlohnt werden.

Der Mehrwert für die Netzbetreiber entsteht durch die Puffermöglichkeit, welche bedarfsgerecht zuschaltbare Energiespeicher bereitstellen. Diese Puffermöglichkeit zum sogenannten Load-shaping wird benötigt, da erneuerbare Energiequellen typischerweise nicht konstant sind und eine tages- oder saisonale Abhängigkeit aufweisen.

Abbildung 3: Links: Solar- und Windenergie im Tagesverlauf (Ferrari, 2021), Rechts: Übersicht über die Load-Shapping-Techniken (Gellings, 1985)

Trotz der vielversprechenden Möglichkeiten gibt es Herausforderungen, die die breite Einführung von V2G verzögern. Dazu gehören hohe Implementierungskosten, technische Komplexität und Bedenken hinsichtlich der Auswirkungen auf die Lebensdauer der Fahrzeugbatterien. Auch regulatorische Unsicherheiten und die Notwendigkeit eines einheitlichen Standards bremsen die Entwicklung.

Die Zukunft der V2G-Technologie hängt stark von der Zusammenarbeit zwischen Automobilherstellern, Energieversorgern, Netzbetreibern und Regierungen ab. Mit dem zunehmenden Ausbau der Elektromobilität und dem Übergang zu einer dezentralen Energieerzeugung könnte V2G jedoch ein zentraler Baustein für das Energiesystem der Zukunft werden.

 

Abbildung 4: Wirkungsfeld der V2G-Technologie. Abbildung: Helbling

Acht Hauptaspekte für die Durchsetzung von V2G

Es gibt eine Vielzahl von Technologien und Hebeln, deren Weiterentwicklung massgeblich zu einer erfolgreichen Implementierung von V2G beitragen könnten.

1. Batterietechnologie

Die Batterien von Elektrofahrzeugen sind das Herzstück der V2G-Technologie. Um V2G effektiv nutzen zu können, müssen Batterien eine hohe Kapazität, lange Lebensdauer und schnelle Lade- sowie Entladezyklen aufweisen. Nebst sich abzeichnenden Fortschritten in der Feststoffbatterietechnologie, verbesserten Kathodenmaterialien und effizienteren Batteriemanagementsystemen ist insbesondere die bedarfsgerechte Dimensionierung und eine kluge Wahl des Aktivmaterials ausschlaggebend hinsichtlich Leistungsfähigkeit und Zuverlässigkeit. Helbling kann dabei auf verschiedentliche Erfahrungen aus Projekten mit Kraft- und Spezialfahrzeugen zurückgreifen.

 

2. Bidirektionale Ladetechnologie

Noch ausschlaggebender als die Batterietechnologie, die in den letzten 15 Jahren eine enorme Entwicklung in Bezug auf Energiedichte und Wirtschaftlichkeit gemacht hat, ist auf Seiten des Anwendenden die Ladetechnologie. Aktuelle Ladestationen sind meist unidirektional – das heisst, sie ermöglichen nur das Laden der Fahrzeugbatterie. Für V2G sind bidirektionale Ladestationen erforderlich, die nicht nur Energie ins Fahrzeug laden, sondern auch wieder ins Netz einspeisen können. Die Entwicklung effizienter und vor allem kostengünstiger bidirektionaler Wechselrichter ist hierbei von zentraler Bedeutung. Zudem müssen diese Systeme mit den bestehenden Ladeinfrastrukturen kompatibel sein.

 

3. Smart-Grid-Infrastruktur

Während Batterie- und Ladetechnologie die Anwenderseite betreffen, ist auf Seiten der Energieanbieter der Fokus auf die Smart-Grid-Infrastruktur zu legen. Ein intelligentes Stromnetz (Smart Grid) ist unerlässlich für die Integration von V2G. Smart Grids müssen in der Lage sein, die Energieflüsse dynamisch zu steuern und die Rückspeisung von EVs effizient zu managen. Dies erfordert fortschrittliche Netzmanagement-Systeme, die in Echtzeit auf Nachfrage- und Angebotsänderungen reagieren können. Zudem müssen Smart Grids skalierbar sein, um die zunehmende Anzahl von EVs und deren Energiebeiträge zu bewältigen.

 

4. Kommunikationsprotokolle und Standards

Einheitliche Kommunikationsprotokolle und Standards sind notwendig, um eine nahtlose Interaktion zwischen Elektrofahrzeugen, Ladestationen und Netzbetreibern zu gewährleisten. Standardisierte Schnittstellen erleichtern die Integration unterschiedlicher Systeme und erhöhen die Interoperabilität zwischen verschiedenen Herstellern und Netzbetreibern.

 

5. Energiemanagement-Systeme (EMS)

Intelligente Energiemanagement-Systeme sind erforderlich, um den Energiefluss zwischen Fahrzeugen und dem Stromnetz optimal zu steuern. Diese Systeme müssen in der Lage sein, den Lade- und Entladezeitpunkt zu optimieren. Entscheidend sind hier Netzanforderungen, Energiepreise und die individuellen Bedürfnisse der Fahrzeugnutzenden. Nebst konventionellen Optimierungsroutinen setzt Helbling hier auf künstliche Intelligenz und maschinelles Lernen, um präzise und effiziente Steuerungsalgorithmen zu entwickeln

 

6. Sicherheitstechnologien

Die bidirektionale Energieübertragung und die damit verbundene Datenkommunikation erhöhen die Anforderungen an die Sicherheit der Systeme. Fortschritte in der Cybersecurity sind notwendig, um die Integrität der Daten und die Sicherheit des Stromnetzes zu gewährleisten. Zudem müssen physische Sicherheitsmechanismen eingesetzt werden, um Schäden durch Fehlfunktionen oder Überlastungen zu verhindern.

 

7. Konnektivität und Dateninfrastruktur

Eine robuste und zuverlässige Dateninfrastruktur ist essenziell für die Echtzeitkommunikation zwischen EVs, Ladestationen und Netzbetreibern. Fortschritte in der drahtlosen Kommunikationstechnologie können die Latenzzeiten reduzieren und die Datenübertragungsraten erhöhen. Zudem müssen Datenmanagement-Systeme aufgesetzt werden, die grosse Datenmengen effizient verarbeiten und analysieren können.

 

Abbildung 5: Technische Komponenten von V2G

8. Gesellschaftliche Akzeptanz

Nicht zu vernachlässigen ist der Umstand, dass ein breit ausgerolltes V2G-System die Bereitschaft einer Vielzahl von Privatkundinnen und -kunden voraussetzt, einem Energielieferanten den Zugriff auf den Energiespeicher des eigenen Fahrzeugs zu gewährleisten. Auch wenn dies in klar abgestecktem Rahmen und ohne kurzfristig merkliche Auswirkungen geschehen dürfte, sind Aufklärungs- und Informationskampagnen im Zusammenspiel mit attraktiven Vergütungsmodellen ins Auge zu fassen.

 

Zusammenfassung: Entwicklungsarbeit für V2G kann die Energiewende beschleunigen

Die Vehicle-to-Grid-Technologie ist weit mehr ist als eine technische Innovation. Sie repräsentiert einen Paradigmenwechsel hin zu einem dynamischen und nachhaltigen Energiesystem, das Fahrzeuge zu aktiven Teilnehmern im Stromnetz macht. Die nächste Dekade wird entscheidend sein, um die Potenziale von V2G voll auszuschöpfen und damit einen wesentlichen Beitrag zur Energiewende zu leisten. Aufgrund der multidisziplinären Expertise in den Bereichen Fahrzeugtechnologie, Energiesysteme, Elektronik, Softwareentwicklung und Systemintegration kann Helbling den Anforderungen von Fahrzeugherstellern, Energieversorgern und Endverbrauchern gerecht werden und durch enge Zusammenarbeit mit Partnern entlang der Wertschöpfungskette essenziell dazu beitragen, die technischen und wirtschaftlichen Hürden der V2G-Implementierung zu überwinden.

 

Autoren: Julian Locher, Simon Müller

Hauptbild: Freepik

Die Vorteile von V2G sind vielfältig:

1. Netzstabilität: EVs können kurzfristige Schwankungen im Stromnetz ausgleichen.

2. Integration erneuerbarer Energien: Überschüssiger Strom aus Solar- und Windkraft kann in Fahrzeugbatterien gespeichert und bei Bedarf zurück gespeist werden.

3. Kosteneffizienz: Fahrzeughalter können durch den Verkauf von Strom während Spitzenzeiten zusätzliche Einnahmen erzielen.

Kontakt

Dr. Simon Müller

Schachenallee 29
5000 Aarau

Weitere Insights

Treten Sie mit uns in Kontakt

Jetzt kontaktieren